Der neue, ebenfalls wieder in der Reihe der Mainzer Akademie der Literatur und der Wissenschaften im Wallstein Verlag erschienene Band, „Nicolas Born – Briefe“ ist seit Anfang Juni 2007 im Handel.
Neben bisher noch völlig unbekannten Briefen an Freunde, Kollegen und Familie enthält er den bereits im Schreibheft abgedruckten Briefwechsel mit Peter Handke, einen intensiven Briefwechsel mit Hermann Peter Piwitt, die Korrespondenz mit Friedrich Christian Delius und Jürgen Theobaldy, sowie einen teilweise zum ersten Mal veröffentlichten Briefwechsel mit Günter Kunert.
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Gregor Dotzauer in seiner Rezension vom 5.6.2007
im Berliner Tagesspiegel:
„Zwischen Privathaushalt, Kneipe und literarischer Institution spielte sich eine kollektive Auseinandersetzung mit dem Sinn und Unsinn des Schreibens ab, deren Ernsthaftigke
it sich noch in den witzigsten und rotzigsten Briefen spiegelt.
Das Befremdlichste aus heutiger Sicht ist, wie sehr Born Literatur als Korrektiv gegenüber den Zumutungen der „Megamaschine“ (Lewis Mumford) verstand. Die Wut, die ihn packte, wenn er Begriffen wie Lebensqualität und Umweltfreundlichkeit begegnete, in denen sich für ihn „die Verödung der Empfindungs- und der Wahrnehmungsfähigkeit“ ausdrückte, ist einer fatalistischen Duldsamkeit gewichen. Nicht, dass Born Literatur als den zuständigen Reparaturbetrieb für alltägliche Sprachdefekte, Schlampereien und Euphemismen betrachtete, doch er beurteilte sie danach, inwieweit sie fähig war, durch ihr reines Vorhandensein Widerworte gegen die Floskelflut aufzubieten und die Würde des Geschriebenen gegenüber dem bewusstlos Dahingesagten zu verteidigen.“
Siehe auch die besonders schöne Rezension von Hans-Dieter Schütt, die zum Briefwechsel mit Peter Handke im Neuen Deutschland erschienen ist:
28.07.06
Copyright Neues Deutschland
So eine Art Glück
Briefe zwischen Nicolas Born und Peter Handke Von Hans-Dieter Schütt Wir brauchen Gelegenheiten, Anstöße. Plötzlich so ein Dichter wie Nicolas Born, und zuerst, in aufspringender Leichtfertigkeit, fällt einem das furchtbarste Wort ein: ein Vergessener. Aber das trifft ja nicht eigentlich den Dichter, es trifft nur den Nicht-Leser, der da bekennt, sich um etwas gebracht zu haben – und hier nun hilft die Gelegenheit, hilft der Anstoß, um sich selber eine Erfahrung reicher zu machen: »Schreibheft – Zeitschrift für Literatur«, im Essener Rigodon-Verlag herausgegeben von Norbert Wehr, hat in einem seiner jüngsten Hefte, Nr. 65, Briefe zwischen Peter Handke und Nicolas Born veröffentlicht. »Die Hand auf dem Brief« heißt die Sammlung, verfasst zwischen 1974 und 1979.
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Nur zweiundvierzig Jahre alt wurde der 1937 geborene Dichter Born. Er starb 1979. Seine Gesellschaftskritik war Ablehnung eines Menschenbildes, das ihm im Kapitalismus nicht weniger ausgeprägt schien als im Kommunismus: eine Vorstellung, nach welcher der Mensch nur dann zur Erfüllung gelangen kann, wenn er sich als Drehpunkt allen Sinns zu verstehen vermag. Born lehnte die Befriedigungen »vorschneller Sinnbedürfnisse« ab, misstraute den Zwangsmechanismen von Gesellschaften, in denen Widersprüche höchstens als eiligst zu behebende Störfaktoren gelten und der Anschein einer Lösung höheren Wert besitzt als eine kompliziert verschlungene Wahrheit.
Vorsicht, Scheu gegenüber vorschnellem Begreifen zeichnen seine Gedichtbände aus (»Marktlage«, »Wo mir der Kopf steht«, »Das Auge des Entdeckers«). Politischer Dichtung, im engeren Zwecke des Agitierens und Überzeugens, hat er sich verweigert; damit ginge, so meinte er, die »ureigenste Funktion« der Dichtung verloren – die darin bestehe, eine sowohl zerstörerische wie auch aufbauende, auf jeden Fall aber erschütternde Kollision der Imagination mit dem Faktischen darzustellen »beziehungsweise dieser Zusammenprall selber zu sein«. Zum Begrenzungsgemüt angesichts der Unbegreiflichkeiten des Daseins und der Unmöglichkeit, sich Realität wirklich vertraut zu machen, kam aber doch eine nüchterne, utopische Hoffnung: dass sich die Anstrengung, am Leben zu sein, dennoch lohne. Weil auch das, was uns verschlossen bleibt, eine Erwartung anregen kann. »Was die Sprache aufgeben muß, das gewinnt sie an Schärfe und Belastbarkeit«, schrieb Christoph Meckel über Born und bescheinigte ihm: »Am kollektiven und individuellen Rechthaben nimmt er nicht teil, von Ausweg und Tröstung macht er keinen Gebrauch«. Kein Mensch stehe unangetastet in seiner Würde, kein denkendes Wesen lebe ohne Verlustgeschäft, »Born steht, wie wenige, ruhelos und direkt in der Erkenntnis wachsender Vernichtung von Zukunft«. Die Briefe Borns an Peter Handke, die Briefe Handkes an Nicolas Born sind Freundschafts-Zeichen. Man liest einander, man braucht einander, des Anderen Schreiben ist eigenes Leben; so empfindet Handke über ein Buch von Born »eine Art Glück, daß da Poesie eine triste Welt zusammenhält und schützt (und auch ich fühle mich geschützt davon, erwärmt, zusammengehalten) … schlingernd zeigst Du die Lächerlichkeit und Erhabenheit von ernsthaftem, trotzigem Schreiben«. Und Born schreibt: »Durch mein Fenster sehe ich, wie der Wind die Baumkronen von innen aufbläst und die Blätter wendet, so daß ihre matteren blasseren Rückseiten zeigen. Es ist so schön zu sagen, daß die Wärme unerträglich ist, und sie doch als angenehmn und erträglich zu empfinden. Ich fühle mich darin etwa so wie Du gesagt hast: geborgen. Erst seitdem.«
Das Private, die Stimmungen, die Katastrophen (Borns Haus brennt ab, auch Beziehungen zu Frauen brennen nieder), die Schreibsehnsucht (»sonst zerfalle ich«, Handke), die Schreibmühen, das Warten »auf die Ruhe des Ichgefühls« (Handke), die »Beklommenheit zwischen den Leuten« (Born) – die Briefe beider, die von 1975 an gemeinsam in der Jury des Petrarca-Preises waren, sind unermüdliche Beistandsgebung. Aber, wie Borns Tochter Katharina im Nachwort schreibt (sie bereitet gerade einen Band mit Briefen ihres Vaters vor): Nie gehe es Born oder Handke darum, »sich gegenseitig aufzumuntern, vielmehr – so scheint es – ermutigen sich die Freunde in ihrer jeweiligen Empfindlichkeit«.
Man merkt Born an, wie er unter Kulturbetrieb und oberflächlicher Geselligkeit leidet und dabei bewundernd auf Handkes Einsamkeitsgabe schaut – zu einer Zeit, da Born linksintellektuellem Gruppenbildungsreflex so tiefgefühlt skeptisch entgegentritt (oder eher: seitwärts tritt), dass er schon als Bürgerlicher abgestempelt wird. Das Nachbardorf heißt übrigens Gorleben, und Born muss aufpassen: »daß mir die kommende Unterminierung und Aufladung, Verseuchung des Erdballs mit Plutonium und anderem Atomdreck nicht Arbeit und Leben verdirbt und mich nicht hysterisch macht, aber mein schwankendes Daseinsgefühl ist noch empfindlicher geworden«.
Handke schreibt von seinem eigenen Still-Leben, und der spätere Jugoslawien-Komplex wird präsent, wenn man diese Zeilen von 1977 liest: »Jede Art Stellungnahme oder Denken (öffentlich) erscheint mir als Kunstgewerbe. Eine Zeitlang schien mir das nur eine vorübergehende Krankheit von mir zu sein. Jetzt ist es vielleicht doch eine Gewißheit geworden, nicht ganz ungesund. Vielleicht brauche ich nur ein paar Schurken, an denen ich mich reibe, und das Stellungnehmen wäre wieder möglich. Aber immer auf die Schurkereien angewiesen zu sein, um ein Lebensgefühl zu haben?«
Schön. Wahrlich: aufhelfend. Zwei Menschen, die einander schonungslos zugetan sind. Man liest, und es läuft im Bewusstsein ein Traum zusammen: Der Appetit auf Gestalt und Form und Würde wird unbezwinglich.
»Schreibheft«. Zeitschrift für Literatur, hrsg. von Norbert Wehr. Verlag Rigodon, Essen, Heft 65, 205 S., 10,50 EUR.
Perlentaucher zum Briefwechsel:
Herausgegeben von Norbert Wehr. Mit Texten von Nicolas Born, Daniil Charms, Peter Handke, Thomas Kling. Beiträge von John Ashbery, Marcel Beyer, Katharina Born, Franz Czernin, Josef Hofmann, Michael Mayröcker, Friederike Pastior, Marion Poschmann, Peter Urban, Peter Waterhouse.Klappentext
Rezensionsnotiz – Die Tageszeitung, 24.12.2005
Ein recht gerührter Gerrit Bartels benutzt diesen Briefwechsel (ein Auszug aus der anstehenden Gesamtedition der Briefe Borns) als Vehikel für eine Zeitreise in die seligen Siebziger. Es war die Zeit, als in der deutschen Literatur über die „neue Innerlichkeit“ gestritten wurde, erinnert Bartels, und Handke und Born galten als zwei ihrer Protagonisten. Der Briefwechsel scheint die Atmosphäre dieser Jahre zu atmen, obwohl kaum politische Bezüge zu finden sind. Born war als Bewohner Lüchow-Dannenbergs in der Anti-Atom-Bewegung engagiert. Aber es werden kaum Anspielungen darauf gemacht. Eher sind Bartels Passagen über den damaligen Literaturbetrieb – beide hätten sich hier als Außenseiter gefühlt – und auch immer wieder gegenseitige Versicherungen der Wichtigkeit des anderen fürs eigene Leben und Werk aufgefallen. Handke war damals schon ein berühmter Autor, Born starb wenig später an Lungenkrebs. Beide sind Bartels durch die Lektüre „sympathisch nah“ gekommen.
Rezensionsnotiz – Frankfurter Rundschau, 26.10.2005
Ina Hartwig liest diesen „in vielerlei Hinsicht erstaunlichen“ Briefwechsel zwischen Nicolas Born und Peter Handke als Zeugnis nicht nur einer „romantischen Männerfreundschaft im Kleid der siebziger Jahre“, sondern vor allem der Freundschaft zwischen zwei Vätern. Sprachlich interessant findet sie den Niederschlag der „neuen Männlichkeit“ nach den gesellschaftlichen Umstürzen 1968. Nicht nur die Umgangsformen von Mann und Frau hätten sich da geändert, sondern auch die Kommunikation der Männer untereinander, die zumindest in dem vorliegenden Beispiel „niemals protzend, niemals steif“ daherkommt und die antiautoritäre Haltung sichtlich verinnerlicht habe. „Fast privatistisch“ erscheint Hartwig der Stil, ohne nationalen oder hierarchischen Gestus. „Ein Hauch von Jungem Deutschland liegt in der Luft.“ Einige der Briefe zählt Hartwig zu den besten Überbleibseln der „Siebziger-Jahre-Selbstzweifel-Innerlichkeits-Literatur“. Und auch die verschiedenen Charaktere der beiden Dichter werden laut Hartwig deutlich. Während der 1979 verstorbene Born immer zurückhaltend und „vorsichtig“ bleibe, so stelle sich der immer bekannter werdende Handke schon als „in seiner Unsicherheit sehr sicher“ dar. |